Erlebnisbericht von Stabsgefreiter Bregger der 10. kl. Kw.—Kol. f. Betriebsstoff 122
Tag für Tag fahren wir Otto- und Dieselkraftstoffe, so auch am 16.9.1941. Betriebsstoffempfang beim Armee-Betriebsstofflager in Mal-Wyra lautet der Befehl. In aller Frühe geht es los. Kurz hinter Tosno beginnt das endlose Waldgebiet. Es sollen noch versprengte Russen drin sein, gestern und vorgestern sind noch mehrere Lkw überfallen worden, so geht es von Mund zu Mund. Wie oft sind wir auf dem Vormarsch mit unserer gefährlichen Ladung durch feindgefährdetes Gebiet gefahren. Wie oft haben uns russische Flieger beschossen. Wie oft mußten wir uns im unbekannten Gelände zurecht finden, um die Mot-Einheiten mit dem so notwendigen Betriebsstoff zu versorgen. Unsere Augen sind auch in der Dunkelheit sehr scharf geworden, und mit den versprengten Russen werden wir schon fertig werden. Zur Sicherung haben wir ja unsere MG bei uns.
Ohne Zwischenfälle erreichen wir unser Ziel. Schnell wird aufgeladen und wie üblich am Dorfausgang gesammelt. Inzwischen hat sich die Straße sehr belebt. Eine neue Division ist angekommen. Die bespannten Kolonnen versperren die Straße. Es gibt Stockungen. Die Kolonne wird auseinander gezogen. Trotzdem finden wir uns kurz vor dem „Mercedesstern“ alle wieder zusammen. Hier ist ein großes Knäuel entstanden. Mehrere Lkw und auch bespannte Fahrzeuge sind festgefahren. Der Nachmittag geht vorüber. Es muß gewartet werden. Zugmaschinen sind noch nicht zur Stelle. Der Weg ist derart ausgefahren, daß ein Gegenverkehr nicht möglich ist.
Die Dunkelheit bricht herein. Plötzlich, um etwa 20 Uhr, hören wir in etwa 100m Entfernung lautes „Hurra”-Rufen. Dunkle Gestalten huschen am Waldrand hin und her. Was ist los? Handgranaten explodieren mitten zwischen den Fahrzeugen. Wir erkennen einen russischen Überfall. Mit unseren Karabinern nehmen wir im Straßengraben das Feuer auf. Unsere MG feuern dauernd in den Wald hinein. Wir hören Geschrei. Die Russen kommen näher. An einigen Stellen wechseln sie auf die andere Straßenseite, im Laufen werfen sie Handgranaten, die uns nicht viel tun. Die Russen vergessen in ihrer Aufregung die Handgranaten zu entsichern. Schließlich sehen wir keine Gestalten mehr.
Ein Kommando „Feuer einstellen“ kommt durch. Ein Panzer kommt langsam heran. Er nimmt den Waldrand unter Feuer. Inzwischen ist Verstärkung eingetroffen. Kameraden von anderen Kolonnen schieben sich zwischen uns ein. Stockdunkel ist die Nacht. Schwer ist Freund und Feind zu unterscheiden. „Hast du Wilhelm oder Otto oder Jupp gesehen?”, so fragen wir uns gegenseitig, wenn wir uns erkannt haben. Wer ist verwundet? Keiner weiß von anderen Kameraden. Langsam beginnt die Dunkelheit zu weichen. In der Morgendämmerung erkennen wir tote und verwundete Russen, auch einen toten Kameraden von der Flak finden wir durch Brustschuß gefallen. Endlich ist es vollkommen hell geworden. Wir sammeln und ordnen uns und dringen weiter in den Wald hinein. Wir finden Schutzhütten und kleine Unterstände. Verwundete Russen haben sich hier verkrochen. Flintenweiber sind auch dabei. Nach der Säuberung des Waldes kehren wir zu unseren Fahrzeugen zurück. Wir erfahren, daß unsere Verwundeten von den Pionieren nach Sammelplätzen gebracht worden sind. Beim Antreten wird festgestellt, daß ein Kamerad fehlt, es ist „Ohm Krüger“. Wer hat ihn zuletzt gesehen? Keiner kann näheres angeben. Er muß noch im Wald sein oder ist von den Russen mitgenommen worden. Wir rufen und rufen. Keine Antwort. Wir schwärmen nochmals aus. Wieder ist nichts zu finden. Wir ändern die Richtung und rufen wieder laut. Auf einmal großes Hallo am rechten Flügel. Unser Ohm ist gefunden worden. Er kann kaum sprechen, vollkommen verstört. Langsam kommt er zu sich. Erzählen kann er nichts. Er sei plötzlich auf den Kopf geschlagen worden und hingefallen. Von dem ganzen Getöse und von dem Schießen des Panzers hat er nichts gehört, trotzdem die Einschläge in unmittelbarer Nähe von ihm waren. „Mensch, hast du aber Schwein gehabt“, sagen wir ihm und freuen uns mit ihm. Nun kehren wir mit ihm zu unseren Fahrzeugen zurück. Sämtliche Fahrzeuge haben Schäden, teils durch Gewehrschüsse; teils durch Handgranaten erhalten. Schnell werden die Fahrzeuge von dem ausgelaufenen Benzin gereinigt. Kein Funke darf entstehen oder wir stehen in Flammen. 6 Fahrzeuge sind nicht mehr fahrbereit. Sie werden in Schlepp genommen. Von uns sind 2 Mann schwer und 5 Mann leicht verwundet. Im Laufe des Nachmittags trifft die Kolonne wieder auf dem Rastplatz ein. Der Auftrag ist erfüllt.
(Quelle: Vereinigung Angehöriger der ehemaligen 122. (Greif) Inf.-Division, Nr. 19, Dezember 1959)