Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verließ ich im Sommer 1944 bei Narwa die Greif-Division, um befehlsgemäß an einem Lehrgang für höhere Adjutanten in Wünsdorf/Berlin teilzunehmen. Nach Ausbildungsende – der 20. Juli fiel in diese Zeit – wurde ich Divisions-Adjutant der Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland. Eine vom Heeres-Personalamt verfügte Versetzung als Divisions-Adjutant zur 25. Panzer-Grenadier-Division bewahrte mich vor einem Einsatz als “Festungs”-Kommandant einer polnischen Stadt.
Mit dem letzten fahrplanmäßigen Zug von Ostpreußen nach Berlin kam ich über Posen ins “Reich” und suchte meine neue Division im Westen, in der Pfalz. Sehr schnell machte der Ost-Krieger unangenehme Bekanntschaft mit den amerikanischen Tieffliegern, die auf alles schössen, was sich auf der Straße bewegte. Ich muss sagen, ich war erleichtert, als ich erfuhr, dass die Division vor 2 Tagen aus schweren Kämpfen herausgelöst worden war und zur Zeit im Eisenbahntransport gen Osten, nach Küstrin rollte. Die 25. Panzer-Grenadier-Division war eine der ersten von etwa 40 Divisionen, die in aller Eile aus dem Westen, aus Italien und aus der Reserve herausgelöst wurden, um als Heeresgruppe Weichsel eine neue Abwehrfront von der Weichselmündung quer durch Pommern bis zur Oder und entlang der Oder bis zur Neiße aufzubauen. Der Befehl zur Bildung der Heeresgruppe Weichsel war am 21.1.1945 durch Hitler an Himmler erfolgt. Am 25. Januar um 23.00 Uhr erfolgte überraschend der Befehl an die 25. Division, den Kampf abzubrechen, sich vom Amerikaner zu lösen und den Brückenkopf über die Moder zu räumen. Am 28. und 29. erfolgte die Eisenbahnverladung, am 31. bereits Einsatz des ersten Bataillons gegen den russischen Brückenkopf über die Oder bei Kienitz (bei Küstrin). Keine Woche zwischen Lösen vom Amerikaner und Einsatz an der Oder. In dieser Phase traf ich bei der Division ein und erlebte nun das erbitterte Ringen um das Halten der Oderfront bei Küstrin zum ersten mal in den ganzen Kriegsjahren “weit ab vom Schuss”, im Divisionsstab. Bis zum Beginn der russischen Großoffensive auf Berlin am 16. April hat die Division zwei Monate ununterbrochen im Großkampf an der Küstriner Oberfront gestanden und sich unter ihrem Kommandeur Generalmajor Burmeister hervorragend geschlagen. Ich kann auf die Schilderung von Einzelheiten verzichten, sie gleichen dem uns allen bekannten schlimmen Auf und Ab eines infanteristischen Kampfes im Schwerpunkt-Einsatz.
Schildern möchte ich jedoch in großen Zügen die letzten 14 Tage einer aktiven Ost-Division, die Endphase dieses Krieges in einem Abschnitt der Heimatfront. Ich beziehe mich dabei weitgehend auf die “Geschichte der 25. Panzer-Grenadier-Division” von Wilhelm Schrode, da meine eigenen Erinnerungen nur Fetzen eines gerissenen Films gleichen.
Am 22.3.1945 wurde Himmler durch Generaloberst Heinrici als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Weichsel ersetzt. Anfang April wurden um Küstrin 23 feindliche Oderbrücken gezählt, der Angriffsschwerpunkt zeigte sich damit deutlich. Hitler erwartete jedoch den Hauptangriff in Sachsen – (welch peinliche Parallele zur Invasionsfront) – so dass am 7. April ein Panzerkorps und 4 Panzerdivisionen aus der Panzerreserve abgegeben werden mussten. Der Heeresgruppe Weichsel blieben nur 1 Panzer-Division und 4 Panzer-Grandier-Divisionen als verwendbare Reserve zwischen Oder und Berlin.
Am 16. April um 4:00 Uhr begann die Offensive der 1. Weißrussischen Armee (Schukow) und der 1. Ukrainischen Front (Konjew) auf Berlin. Nach 2-stündigem Trommelfeuer gab ein vertikaler Strahl eines Scheinwerfers das Signal zum Einschalten von 140 Flakscheinwerfern zur Beleuchtung des Küstriner Schlachtfeldes. Der erste Tag verlief für die deutsche Führung nicht völlig unbefriedigend. Die Kämpfe um Seelow zwangen die Russen, die Panzer-Armeen in die Schlacht zu werfen, bevor das Hauptkampffeld durchstoßen war. Ein besonderer Gefahrenpunkt war Wriezen, hier befahl Hitler persönlich unter Umgehung der Heeresgruppe den Einsatz unserer Division.
Am zweiten Tag wiederholten 2 russische Armeen mit Unterstützung von 800 Flugzeugen den Angriff. Seelow ging verloren, Wriezen wurde gehalten. Am 3.Tag mit aller Wucht erneuter Angriff der Stoßarmee auf Wriezen, das eingeschlossen wurde. Südlich brach bei Müncheberg die Front der 9. Armee zusammen. Der Durchbruch gewann am 19. schnell Raum, sodaß das Oberkommando des Heeres Hals über Kopf Zossen räumen mußte, ebenso der Wehrmacht-Führungsstab. Am Abend hielt Goebbels seine letzte Rede im Berliner Rundfunk.
Am 20. April griff die 2. Weißrussische Front südlich Stettin über die Oder an. Es gelang ihr gegen die 3. Panzer-Armee des General von Manteuffel nur ein Brückenkopf. Die Armee wurde aber dadurch an der Oder gebunden und konnte nicht in den Kampf um Berlin eingreifen, im Gegenteil musste jetzt ihre rechte Flanke geschützt werden. Den Befehl dazu erhielt SS-Oberstgruppenführer Steiner mit den Resten der sogenannten 11. SS-Armee, 2 Flieger-Ersatzbrigaden und 2 Polizeibataillone sollten am Finow-Kanal die Brücken sperren.
Durch den hartnäckigen Widerstand unserer und der 5. Jäger-Division hing Schukows rechter Flügel hinter den auf Berlin durchgebrochenen Truppen zurück. Zur Schließung der Lücke musste das 7. Garde-Kavalleriekorps eingesetzt werden.
Das II.und III. Bataillon des Panzer-Grenadier-Regiment 35 hielt immer noch Wriezen, sie – noch 120 Mann – machten am Abend einen erfolgreichen Ausbruchsangriff und fanden wieder zur Division. Das Panzer-Grenadier-Regiment 119 übernahm ich an diesem Abend. Gerade, als ich die Reste des Hegt.Stabes auf einer Waldlichtung fand, wurde lebhafter Kolonnenverkehr mit Lichtern südlich von uns in Richtung Westen gemeldet. Eine kurze Erkundungsfahrt ergab, dass nur 1 km südlich die russischen Panzer-Armeen in Richtung Bernau nach Westen strömten. Die Division war an diesem Tag endgültig nach Norden abgedrängt und dadurch nicht in den Kessel von Berlin hineingezogen worden. Die Aufgabe der Division war nun, die Südflanke der 3. Panzer-Armee zu schützen und nicht mehr Berlin. Während die 1. Weißrussischen Front mit 3 Armeen am 21.4. den Berliner Autobahnring durchbrach, stand die Division in heftigen Abwehrkämpfen im Brückenkopf Eberswalde am Finow-Kanal. Regiment 119 kämpfte ohne Trosse und Kraftfahrzeuge und obwohl am 22.4. die 2. polnische Armee gegen den Brückenkopf Eberswalde einschwenkte, konnten wir diesen noch bis zum 23.4. abends halten und damit russische Kräfte binden. Hitler hatte befohlen, daß Steiner mit der “11. Armee” am 22.4. aus Raum Eberswalde nach Süden auf Berlin angreifen sollte. Alle Verbände nördlich Berlin einschließlich Hitlerjugend und Bodentruppen der Luftwaffe sollten zugeführt werden. Hitler wartete begierig auf Nachrichten von Steiners Vormarsch. Als Generaloberst Jodl in der Mittagslage vortrug, dass Steiner noch nicht angetreten sei, ja, die 11.Armee noch gar nicht existiere, erlitt Hitler einen Nervenzusammenbruch. Nach stundenlanger Beschimpfung seiner Umgebung beschloss er, endgültig im Bunker in Berlin zu bleiben. Steiner hoffte am 23.4. den Angriff mit 7 Bataillonen, über den Finow-Kanal vortragen zu können. Wegen Mangel an Nachrichtenmitteln und Marschverzögerung gelang dies erst am 24.4. Der Russe war völlig überrascht, aber nach 10 km versteifte sich der Widerstand und Gegenangriffe der 1. polnischen Armee stellten die Ausgangslage wieder her, Steiner erhielt Befehl, westlich der Havel erneut anzugreifen. Dazu wurde ihm die 25. Panzer-Grenadier-Division unterstellt, wie auch die 3. Marinedivision, ein SS-Regiment und die Reste der 7. Panzer-Division (ohne Kraftfahrzeuge). Am Nachmittag des 25.4. trat unsere Division zum letzten geschlossenen Angriff des Krieges an. Wir konnten einen Brückenkopf über den Ruppiner Kanal gewinnen. Von den anderen Verbänden, die an diesem Angriff teilnehmen sollten, war jedoch nichts eingetroffen. Die Division stand allein auf weiter Flur.
Im Großen hatte sich an diesem Tage ereignet: Heeresgruppe Weichsel gibt auf eigene Verantwortung die Oderfront und die “Festung” Stettin auf, westlich Potsdam wird Berlin eingeschlossen, bei Torgau an der Elbe treffen sich Russen und Amerikaner.
Die Division kämpfte noch zwei Tage schwer um die Erweiterung des Brückenkopfes und behauptete sich gegen Gegenangriffe von 2-3 Divisionen. In der Zwischenzeit war um unsere Division ein heftiger Streit zwischen der Heeresgruppe Weichsel und dem Führerhauptquartier entbrannt. Bereits am 23. hatte die Heeresgruppe die Herauslösung bei Eberswalde und Einsatz zur Stützung der Oderfront im Norden verlangt. Ziel: Unter Verzicht auf den – unmöglichen – Entsatz Berlins ein Offenhalten des Mecklenburger Raums für Zivil und Militär durch Verhinderung eines Durchbruchs der Front der 3. Panzer-Armee. Dieser Durchbruch geschah am Mittag des 27.4.. Die Heeresgruppe hatte keine Reserven mehr und forderte erneut unsere Division an. Das OKW lehnte erneut ab. Keitel teilte Heinrici telefonisch mit: “Dass durch Vereinigung der 9. mit der Armee Wenck zum gemeinsamen Stoß nach Norden und Vorbrechen der 25. Division nach Süden die Schlacht um Berlin noch gewonnen werden könne.” Die Heeresgruppe erhielt ferner ein Fernschreiben: “Der Führer hat entschieden, dass die westlich Oranienburg angreifende Gruppe unter Führung des Generalmajor Burmeister Kommandeur der 25. Panzer-Grenadier-Division auf breiter Front den Angriff nach Süden fortsetzt.”
So sollten wir noch eine kriegsentscheidende Rolle spielen, wobei das OKW wirklichkeitsfremd übersah, dass die 9. und 12. Armee am Ende ihrer Kräfte waren, und wir im verzweifelten Abwehrkampf standen. Heinrici beschloss daher, in eigener Verantwortung die 25. Panzer-Grenadier-Division herauszulösen, um mit ihr die aufgerissene Front im Norden zu schließen und dann hinhaltend einen Rückzug nach Westen durchzuführen. Als Keitel am Vormittag des 28.4. erfuhr, dass die 25. Division nach Norden marschierte, verlangte er auf der Straße inmitten zurückströmender Soldaten und Zivilisten von Heinrici in heftigem Streit im Beisein Manteuffels die Umkehr und Fortsetzung des Berlin-Angriffs. “Gehorsamsverweigerung, Verrat am Führer, Defätismus” die Vorwürfe. Heinrici gab nicht nach. Er sah voraus, dass sonst in wenigen Tagen ein unentwirrbares Chaos durchbrochener Truppen und Flüchtlingskolonnen entstehen würde. Er sei nicht gewillt, an der Herbeiführung einer solchen Katastrophe mitzuwirken.
An diesem 28.4. befand sich die Division im Marsch nach Neustrelitz und Neubrandenburg, um die dortige Frontlücke zu schließen zu spät, denn der Russe war bereits in Neubrandenburg und auf dem Vormarsch nach Neustrelitz.
Der Russe folgte uns auf den Fersen, und wir 119-er hatten als Nachhut Regiment immer wieder kritische Lagen. Das größte Problem war der fehlende Kraftstoff. Fahrzeuge mussten leer getankt und gesprengt werden. Das Bild auf den Straßen wurde von Stunde zu Stunde schlimmer: Flüchtlingstrecks, KZ-Häftlinge, Fremdarbeiter, Gefangene, Versprengte, Deserteure. Anfang vom Kriegsende. An diesem Abend sickerte die Absicht der Heeresgruppe durch, die Truppe und Flüchtlinge dem Russen zu entziehen und nach dem Westen zu bringen.
Am 29.4. griff das Regiment 35 die Spitzen der Russen bei Usadel an und hielt, bis die Division westlich Neubrandenburg noch einmal einen Riegel aufgebaut hatte. Es war der letzte Großkampftag, das Regiment 35 wurde fast aufgerieben. Bei anderen Divisionen begannen die Soldaten bereits die Waffen wegzuwerfen. Der Kommandeur unseres Artillerie-Regiments: “Wir decken den Rückzug der Deserteure.”
An diesem Vormittag wurde Heinrici wegen “Gehorsamsverweigerung” abgelöst. Seiner Führungskunst und Charakterstärke hatte die 3. Panzer-Armee und damit auch wir den noch freien Rückzug nach Westen zu verdanken. General von Manteuffel lehnte die Nachfolge ab. Am 1. Mai wurde der Fallschirm-Generaloberst Student neuer Oberbefehlshaber der Heeresgruppe.
Das Regiment 119 baute noch einmal eine Auffanglinie bei Dahmen auf, auf die sich die restliche Division zurückfallen ließ. Hier kam es am 1.5. zu den letzten Kämpfen. Wir konnten die Stellung bis zum Abend halten, um uns in der Nacht auf Zehna abzusetzen.
Am 2.5. war “die Lage da.” Vor uns der Russe und hinter uns im Raum die Artillerie der Amerikaner, die unter dem Oberbefehl des Generalfeldmarschalls Montgomery von Süden auf Schwerin und Wismar vorgestoßen war, um Schleswig-Holstein gegen die Russen zu sperren. Am 3.5. Divisionsbefehl: “Waffen und Gerät vernichten, mit Kraftfahrzeugen abfließen nach Westen in amerikanische Gefangenschaft.” 120 Offiziere und 3.500 Unteroffiziere und Mannschaften – also etwa ¼ der Division – hatte überlebt und zusammengehalten.
Fellmann
Major a.D.
Quelle: Greif-Rundbrief: Mitteilungsblatt der ehemaligen 122. (Greif) Inf.-Division, Nummer 77, Dezember 1984, 32. Jahrgang