„Es war während der großen Kämpfe um die Toßna-Ziegeleien. Die zweite Kompanie des Pionier-Batl. 122 lag in Ruhestellung in Nikolskoje. Man schrieb den 5. September. Ersatz war gekommen, wir hatten wieder zwei kriegsstarke Züge. So erzählt Feldwebel S., der dann an diesem Tage durch folgende Meldung jäh aus der verdienten Ruhe gerissen wurde: „Ein russischer Panzer ist durchgebrochen und rollt auf den Regimentsgefechtsstand I.R. 411 in Perewos zu.” Da zu erwarten war, daß noch weitere Panzer im Laufe des Tages die Front durchstießen, erhielt die zweite Pionier-Kompanie vom Regiment 411 den Auftrag, die Infanterie, die sich für die Nacht eingebuddelt hatte, gegen Panzer zu sichern, und zwar durch Minen im Streusatz an jeder Stelle, die ein Panzer eventuell befahren könnte. Bis zum Eintreffen der Minen, die durch die leichte Pionierkolonne herangeschafft wurden, wies der Komp.-Chef die Zugführer in ihre Abschnitte ein. Der Feuerschein von der brennenden Ziegelei Prowoskoje ließ Büsche und Bäume und das ganze Gelände in blutrotem Licht aufleuchten. Da die Kusseln vor dem schützenden Wald vom Feind eingesehen wurden, war es für die Pioniere äußerst schwierig, die Minen in den gefährdeten Abschnitten zu verlegen. Sobald sich jemand bewegte, beschoss ihn der Feind mit seinen Granaten, blafften die automatischen Schnellfeuergewehre von beiden Ufern der Toßna herüber.
Ein fantastischer Anblick, wie die Pionieren im hellen Feuerschein Meter um Meter an die vorgesehenen Sperrstellen herankriechen. Vor sich her schieben sie die gefährlichen Minen, unbekümmert um die zerberstenden Geschosse der schweren Granatwerfer, die zischend einfallen und mit ihren Splittern das Gelände das Gelände bestreuen. Noch war nicht die Hälfte der Minen verlegt, als von der Toßna her das Klirren und Mahlen von Panzerraupen vernehmbar wurde. Schon hörte man das Rattern des Motors. An die Erde gepreßt liegen die Pioniere mit ihrem Minen. – Wo wird der Stahlkoloß durchbrechen …? Wird er uns zermalmen oder …? Da! Eine Detonation im Abschnitt links von uns! Das Motorengeräusch verstummt, einer ruft es dem anderen zu: “Mensch, der ist raufgefahren auf die Minen.” Gegen Mitternacht ist der Sperrgürtel verlegt. Der Zug zieht sich zum Gefechtsstand des dritten Batl. I.R. 411 zurück und sichert für den Rest der Nacht die linke offene Flanke.
Um 6 Uhr morgens kommt der Befehl, die in der Nacht verlegten Minen wieder aufzunehmen, da die Infanterie weiter angreifen soll. Das war kein leichter Auftrag, denn die Minen waren überall im Gelände verstreut und mußten ohne Minenplan wiedergefunden werden. Dazu lag das ganze Gelände beim Tagesanbruch unter verstärktem Gewehr- und Granatfeuer des Feindes. Aber wir hatten Glück. Ohne Verluste fanden wir die Minen wieder, der Weg für die Infanterie war frei. Im schwersten Panzerbeschuß, unter unaufhörlichem Granatwerferfeuer erkämpfte sich die Infanterie das befohlene Ziel, die Kirow-Bahn südlich der Newa. Die Kompanien richteten sich dort zur Verteidigung ein, wir aber verlegten wieder unsere Minensperren, da auch hier mit Panzerangriffen zu rechnen war. Nach erfülltem Auftrag schützten wir den Batl.-Gefechtsstand, der sich am Hang des Panzerweges befand. Zweimal versuchte der Feind in dieser Nacht durchzubrechen. Unheimlich hallten durch die Waldungen die harten Einschläge der Panzergeschosse, dazwischen orgelten die schweren Brocken der Artillerie heran, jagten die Perlenschnüre der Leuchtspur, ratterten die Maschinenpistolen und blaffte die Gewehre. Für uns Pioniere eine veränderte Situation: Als Infanteristen kämpften wir Seite and Seite mit den Kameraden des Bataillons. Beide Angriffe wurden unter blutigen Verlusten für den Feind abgeschlagen.
Im Morgengrauen – ich befinde mich gerade bei der 6. Gruppe, so erzählt der Feldwebel, – da kommt ein Pionier atemlos gelaufen. Er ruft: “Herr Feldwebel, Russen über Russen …!” Er zeigt zur Schlucht, die vom Panzerweg zur Toßna führt. “Tadellos, die laß man kommen.”, sagte ich. Es sind etwa 30-40 Mann, ein starker Spähtrupp. Gewehre über die Schulter, sorglos in Schützenreihe, so kommen sie ahnungslos angetrottet. Wie sie so auf dreißig Meter heran sind, bellen die leichten MGs, jagen die Pioniere Schuß auf Schuß aus ihren Karabinern, werfen die Männer ihre Handgranaten mitten hinein in das wirre Knäuel der angstvoll auseinanderspritzenden Russen. Fast keiner entkommt.
Da zu befürchten war, daß die Russen vom Westen her neue Durchbruchversuche machen würden — am Toßna-Ufer war ein Straßendurchlaß vorzüglich zu unkontrollierbaren Einbrüchen geeignet— erhielten wir gegen 21 Uhr vom Bataillonskommandeur den Auftrag, diesen Straßentunnel sofort zu beseitigen. Mit einem Unteroffizier und einem Melder wurde der von Gestrüpp und Büschen verdeckte Straßentunnel erkundet und gefunden. Die Höhe des Durchlasses betrug etwa 2,20 Meter. Ganz unzweifelhaft wollte der Spähtrupp, den wir am Vormittag zusammengeschossen hatten, durch diesen Tunnel in unseren Rücken stoßen. Es war klar, der Durchlaß mußte gesprengt werden. Aber womit? Pioniersprengmunition hatten wir nicht. Es wäre unter größten Schwierigkeiten und unter Zeitverlust möglich gewesen, diese vom Troß aus Nikolskoje heranzuschaffen.
Nach einigem Überlegen kamen wir zu folgendem, aus unserer Notlage geborenen Entschluß: Wir nehmen zwei T-Minen‚ als Zündung einen Brennzünder 24 aus einer Stielhandgranate und die Sache funkt. Also rasch die Minen geschnappt, Sprengkapsel und Zünder in den Zündkanal geschraubt und hinein geht es in den Tunnel. Ein Meter … zwei Meter, die Minen werden abgelegt, und jetzt kann der Film abrollen. Etwas komisch wurde uns immerhin dabei zumute, zwang uns doch die Brenndauer von 4,5 Sekunden, das Abreißen des Zünders, das Zurücklaufen aus dem dunklen Tunnel und das In-Deckung-Gehen in unerhört kurzer Zeit hinter uns zu bringen. Draht zum Abziehen aus sicherer Deckung war weit und breit nicht zu finden, auch war das Gelände für eine solche Art der Zündung nicht geeignet.
Einen Unteroffizier nahm ich mir zur Hilfeleistung mit. Die linke Hand gegen die Minen gestemmt, mit der Rechten den Brennziinder gefaßt, noch einmal den Weg zurückgeschaut, den wir nehmen mußten, dann wurde abgezogen und mit affenartiger Geschwindigkeit weg! … Noch im Rennen vernahmen wir den Knall. In Rauch gehüllt schreit mein Unteroffizier: „Ich glaube, ich habe was ins Kreuz bekommen…!” Ich rufe: „Wo bist du denn?” Er schreit zurück: „Hier!” Endlich als der Qualm sich lichtet, finde ich ihn. Von allen Seiten wird der Unteroffizier betastet. Gott sei Dank, alles in Ordnung. Nur ein Zittern in unseren Knochen verrät, daß wir eben haarscharf am Tode vorbeigekommen sind. Zur Sprengstelle zurück stellen wir fest, daß der Tunnel etwa auf eine Tiefe von zwei Metern zugefallen ist. – Hier kommt kein Russe mehr durch! Stolz konnte ich dem Bataillons-Kommandeur melden: “Auftrag erfüllt, Verluste keine.”
So erzählt Feldwebel S., der aus dem dritten Pionier-Bataillon Küstrin hervorgegangen ist, jener Einheit, die die Tradition des Pioniers Klinke hochhält, der im Einsatz, als die Lunte nicht brennen wollte, die Sprengladung mit einem Zündholz zur Detonation brachte und sich dabei selbst opferte. … Pioniere, Männer der “Greif”-Division, still und zuverlässig leisten sie als treue Helfer der anderen Einheiten ihren oft schweren Dienst, sei es nun beim Legen von Minensperren vor den eigenen Linien, sei es beim Sprengen von Hindernissen, beim Stürmen von Bunkern, beim Räumen feindlicher Minenfelder, sei es bei Flußübergängen oder beim Brücken- und Wegebau oder sei es bei Spezialaufträgen wie dem, den unser Bericht schildert.
von Gefreiter Fritz Hain 2./NA 122